Wohin mit „Chinas Devisenreserven“?

Handelszeitung
VON STEEN JAKOBSEN
17.07.2015
China arbeitet an einer riesigen Handelszone in Asien. In China liegt Veränderung in der Luft: Derzeit gibt es im Reich der Mitte mehr als 5000 Hedgefonds, das IPO-Geschäft läuft heiss und der Aktienmarkt ist um mehr als 100 Prozent gestiegen. Doch das ist nur die Spitze des Eisbergs. Aussenstehende und Experten sind sich einig: Chinas Aufschwung ist vorbei, es zeichnen sich finanzielle Probleme ab, und auf den Aktienmärkten wird eine Blase nach der anderen platzen. Doch meine Reise nach China hat mir die Augen vor allem für zwei Dinge geöffnet:

Zum einen entwickelt sich die Deregulierung der Finanzmärkte schneller als erwartet und zum anderen stellt sich die Internationalisierung des RMB, des Renminbi, als wahrer Antriebsmotor für das Seidenstrassenprojekt heraus.

Deregulierung der Finanzmärkte – überraschende Fortschritte

Die Deregulierung der Finanzmärkte beschränkt sich nicht nur auf die Verbindung Schanghai–Hongkong oder Shenzhen–Hongkong und das Programm für qualifizierte Anleger, sondern erstreckt sich auch auf die sukzessive Lockerung der Vorschriften, auf den Finanzdistrikt in Schanghai (bzw. korrekterweise die Finanz- und Handelszone Lujiazui) und den festen Glauben an die Öffnung der Märkte. Als ich in Schanghai mit Funktionären zusammentraf, hatte ich das Gefühl, dass selbst sie von dem rasanten Vormarsch des «offenen Marktes» überrascht sind, dessen Anzeichen nicht geleugnet werden können: Verstärkter Handel sowohl auf dem Aktienmarkt als auch auf einem wachsenden Anleihemarkt und dem nationalen Devisenmarkt.

Und dies bringt mich auch gleich zu meiner zweiten Beobachtung: Die Internationalisierung des RMB. Als ich im März nach meiner Hongkong-Reise zum ersten Mal über die Seidenstrasse geschrieben hatte, war mir nicht bewusst, wie wichtig dieser Aspekt ist.

RMB zunehmend gefragt

Mit der Aufnahme des RMB in den Währungskorb für das Sonderziehungsrecht (SZR) im September/Oktober wird die Internationalisierung des RMB noch stärker vorangetrieben. Schon jetzt ist die Nachfrage nach RMB-Verrechnung gross, und einige Zentralbanken und Staatsfonds planen, ihr Engagement in diesem Sektor weiter zu verstärken, was wahrscheinlich zulasten des Dollar gehen wird. Der schnelllebige IPO-Markt lässt sich auch als Phänomen beschreiben, bei dem ein fundierter Kapitalmarkt errichtet wird und die Kapitalbeschaffung fernab der staatlich unterstützten Banken und der Liberalisierung der Finanzmärkte erfolgt.

Aufgrund der hohen Preise sind die Börsengänge natürlich sowohl für den Staat als auch für die Aktionäre ein lukratives Geschäft. Sicherlich erinnert der 100-prozentige Anstieg die Älteren unter uns an den NASDAQ-Markt und die IT-Blase von 1999/2000. Sicherlich glaube ich, dass sich der Shanghai Composite bei 3000 Punkten einpendelt, nachdem der Index zu Jahresbeginn noch in luftigen Höhen bei 5200 Zählern lag. Und sicherlich glaube ich, dass es China wirklich schwerfallen wird, das für dieses Jahr angekündigte und für nächstes Jahr in Aussicht gestellte Wachstum von 7 Prozent auch zu erreichen. Aber: China hat einen Plan. Ob es Ihnen gefällt oder nicht: Die Chinesen haben einen Plan, und der heisst Seidenstrasse.

Lockerung der Geldpolitik und chinesische Devisenreserven

Nur weil ich einmal pro Jahr nach China reise, bin ich natürlich noch lange kein Sinologe. Mir ist jedoch bewusst, dass China zu erfassen und zu verstehen nicht auf herkömmliche Weise oder von einem Bürostuhl in London, New York oder Kopenhagen aus gelingen kann. Im Verlaufe des Jahres 2015 werden sich in China gewiss einige Fortschritte zeigen. Durch die rigorose Lockerung der Geldpolitik wird eine «Brücke» zu der Zeit geschlagen, da das Seidenstrassenprojekt in die heisse Phase gehen und der Geldstrom aus China nicht mehr zu stoppen sein wird.

Wir als Investoren und Beobachter von makroökonomischen Tendenzen müssen derweil Folgendes erkennen: Die Frage, was China mit seinen Devisenreserven tut (3,4 Billionen Dollar), ist weitaus wichtiger als die Frage, wann und ob die Fed den Leitzins erhöht. Nicht nur wegen der Lockerung seiner Geldpolitik, sondern auch angesichts des anlaufenden Seidenstrassenprojekts muss China seine Reserven reduzieren. Wenn China nun seine MR (Mindestreserveverpflichtung) um 100 Basispunkte kürzt, dann entspricht das einem Verkauf von Anleihen im Wert von 260 Milliarden Dollar. (Da China eine geschlossene Volkswirtschaft ist, muss das Land eine Deneutralisierung vornehmen, das heisst, jede Senkung des Leitzinses muss mit der Emission von Bargeld einhergehen.)

Eine Handelszone in Asien und ein globaler Wachstumsschub durch China

Ähnlich sieht die Situation aus, wenn das Seidenstrassenprojekt finanziert werden muss. Auch hier kommen die Mittel aus dem Verkauf von US-Anleihen. Vielleicht ist das der Grund, warum Finanzierungskosten, also Zinsen, bereits in diesem Jahr gestiegen sind: Nicht weil sich bei der Fed etwas tut, sondern in China. An diese neue Weltordnung müssen wir uns einfach gewöhnen – heutzutage, wo jeder überschuldet und unterfinanziert ist und diejenigen Personen und Staaten die Bedingungen diktieren, die über die meisten Rücklagen verfügen.

Meiner Ansicht nach wird die chinesische Währung, der RMB, in weniger als drei Jahren den dritten Platz im Devisenhandelsvolumen einnehmen, den derzeit noch das britische Pfund belegt. China wird die Finanzierungskosten bestimmen, aber auch für einen weltweiten Wachstumsschub sorgen – genau wie 2008, nur diesmal mit einem weitaus eindrucksvolleren und anspruchsvolleren Plan. Ja, in China liegt tatsächlich Veränderung in der Luft. Aber diese Veränderung wird in den kommenden zwei Jahren auch den Rest der Welt erfassen, wenn China eine riesige Handelszone in Asien auf den Weg bringt. Zumindest hat China einen Plan.

Steen Jakobsen, Chefökonom der Saxo Bank

 

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