Wie China und Co. den Westen erobern

06.01.2015

http://info.kopp-verlag.de/hintergruende/europa/redaktion/drachensturm-wie-china-und-co-den-westen-erobern.html

Aus Asien und Südamerika kommend rast ein industrielles Invasionsheer auf Europa zu. Es sind rasant aufsteigende neue Firmen-Champions, die zuhause in China, Indien und Brasilien groß geworden sind und sich jetzt mit gut gefüllten Kassen über die westliche Konkurrenz und die hiesigen Märkte hermachen. Diesen »Drachensturm« beschreibt Markus Gärtner, der seit 27 Jahren als Wirtschaftsjournalist aus den USA, Südostasien, China und Kanada für deutsche Zeitungen berichtet, in seinem neuen Buch für den Kopp Verlag. Janne Kipp hat für unsere Redaktion mit dem Autor über sein Buch gesprochen.

Kipp: Herr Gärtner, Sie haben bei Kopp an Weihnachten ein Buch herausgebracht, das unter dem Titel Drachensturm den Angriff Chinas und anderer Schwellenländer auf den Westen schildert. Ist das ein gutes Timing? Die großen Schwellenmärkte machen ja gerade ziemlich schlapp. Woher soll dieser Schub kommen?

Gärtner: Das ist kein Widerspruch, ganz im Gegenteil: In Ländern wie China wurden in der Boomphase des vergangenen Jahrzehnts große Überkapazitäten geschaffen, das hat die Gewinne in vielen Fällen reduziert. Mehr noch: Die Löhne sind seit Jahren rasant im zweistelligen Prozentbereich gestiegen und haben den Abstand zum teuren Westen verringert. Wer teurer geworden ist, muss eben besser werden. Und jetzt dümpelt auch in China, Brasilien und Indien die Konjunktur – gemessen an den bisher gewohnten Volldampf-Zahlen – und die besten Firmen dort müssen sich neue Märkte in Übersee suchen, um weiterzuwachsen …

Kipp: … die dümpelnde Weltwirtschaft beschleunigt also diese Expansion …

Gärtner: Ganz genau. Die Aufsteigerfirmen aus den Schwellenmärkten müssen in den Rest der Welt ausschwärmen, wenn sie überleben wollen. Sie haben Gewinnmargen, die oft so dünn sind wie Rasierklingen, sie brauchen Mengengeschäft, also auch unbedingt neue Kunden im Ausland. Und zu Hause sind oft schon die heimischen Märkte gesättigt

Für ihren Angriff auf westliche, vor allem amerikanische und europäische Märkte haben diese Aufsteiger aus Boomzeiten gut gefüllte Kassen. Oder sie besorgen sich Kapital bei westlichen Anlegern für den Angriff auf deren Märkte, so wie es im HerbstAlibaba mit dem größten Börsengang der Wirtschaftsgeschichte in New York gemacht hat.

Kipp: Sie sprechen von einem regelrechten Invasionsheer, das jetzt im Anmarsch ist. Wer sind diese Firmen?

Gärtner: Sie kommen aus ganz unterschiedlichen Industrien. Bisher ging es vor allem staatlichen Firmen aus China darum, in Übersee Rohstoffquellen zu sichern. Aber jetzt kommen sehr viele Privatfirmen. Und die haben es auf Märkte abgesehen, wo wir Deutschen mit unseren Exportfirmen auch stark sind, vor allem Maschinen und Anlagen, Elektronik, bis hin zu Schnellzügen, wo die beiden größten Firmen Chinas gerade eine Fusion bekannt gegeben haben, um den Weltmarkt anzugreifen. Die Chinesen haben vor Monaten eine Offensive auf die ganz großen Bahnprojekte dieser Welt in Osteuropa, Südamerika und Südostasien gestartet, das bekommen vor allem Firmen wie Siemens und Alstom zu spüren …

Kipp: … mit Folgen für hiesige Arbeitsplätze …

Gärtner: … natürlich. Den Titel des Exportweltmeisters mussten wir ja bereits abgeben. Jetzt kommt noch mehr. Da hängen Zehntausende von Arbeitsplätzen dran. Das geht hin bis zu Telekomausrüstern wie Huawei, die in Europa – und Deutschland – Tausende gut qualifizierte Menschen beschäftigen und 45 der 50 größten Telekomnetze der Welt mit ihren Geräten beliefern. Die stecken 14 Prozent von den Verkaufserlösen in die Entwicklung neuer Produkte, und jeder dritte Mitarbeiter ist irgendwie daran beteiligt. Mit Raubkopierern hat das nichts mehr zu tun. Denken Sie auch an den schon weltgrößten PC-Hersteller Lenovo, oder an den in Deutschland noch fast unbekannten Smartphone-Hersteller Xiaomi, der mit einem ganz neuen Geschäftsmodell in nur vier Jahren quasi aus dem Nichts zur globalen Nummer drei hinter Apple und Samsungaufgestiegen ist.

Kipp: Wie kann so etwas sein, die Chinesen kopieren doch immer noch wie die Weltmeister, darüber klagt die gesamte westliche Industrie … .

Gärtner: Die Chinesen forcieren Forschung und Entwicklung wie die Verrückten. Sie haben bei den F&E-Ausgaben pro Kopf bereits die Europäische Union überholt. Bei F&E-Dienstleistungen exportieren sie mehr in die EU als sie dort einkaufen. Und Tausende von chinesischen Aufsteigern melden gezielt viele Patente und Gebrauchsmuster für europäische Märkte an. Indische Generikahersteller sind zum Beispiel schon der größte ausländische Arzneimittel-Lieferant in den USA. Der brasilianische Flugzeughersteller Embraer beherrscht weite Teile des Weltmarktes für Regionaljets. Die Chinesen bauen ihre eigenen Flugzeuge und werden bald damit am Weltmarkt auftauchen. Die mexikanische Cemex ist der größte Zementhersteller auf dem amerikanischen Doppelkontinent. Aus Brasilien kommt der führende Fleischhersteller der USA. Burger King gehört dem reichsten Mann Brasiliens. China macht Deutschland, das sich in der Energiewende verheddert, bereits die Rolle als weltweiter Hoffnungsträger für erneuerbare Energien streitig. China ist bereits Weltmarktführer im »M2M«-Markt. Das sind Geräte und Maschinen, die durch das Internet miteinander vernetzt werden. Laut der GSMA, dem globalen Verband der Mobilfunkbetreiber, bestritt China 2013 mit 50 Millionen Geräteverbindungen über das Internet bereits ein Viertel des globalen M2M-Marktes. Ich könnte diese Liste noch stark verlängern.

Kipp: Wie kommt dieser Schub an Innovationen in den Schwellenländern zustande?

Gärtner: Die Aufsteigerfirmen, die neuen Champions, die sich dort an die Spitze der heimischen Märkte gesetzt haben − und jetzt zu expandieren beginnen − sind oft staatlich geförderte Riesen. Die haben billiges Land und Kredite der Staatsbanken zu Minizinsen bekommen, dazu große Aufträge der Regierung. Sie beliefern heimische Märkte, die so groß sind wie ganze Kontinente. In China und Indien wächst aber auch rasant eine enorme Mittelschicht heran, die mehr Geld hat und bessere Produkte will. Man darf auch nicht vergessen: Firmen, die in den Schwellenländern Erfolg haben, bewegen sich in einem Becken Treibsand, das sie erfinderisch macht: Sie müssen sich gegen skrupellose Nachahmer, korrupte Beamte und undurchsichtige Bestimmungen durchwursteln. Sie kämpfen zudem gegen eine oft schlechte Infrastruktur wie in Indien, wo bei ständigen Stromausfällen schon mal zehn Prozent der Menschheit stundenlang im Dunkeln sitzen. Wer in diesem Umfeld Marktführer wird, hat einen guten Riecher, ist enorm schnell und flexibel und hat es gelernt, seine Kunden akribisch zu studieren.

Kipp: Man hat den Eindruck, dass sich der Wettbewerb international inzwischen nicht mehr alleine im Spitzensegment der Produkte abspielt, wo führende Technik den Ausschlag gibt, auch wenn sie teuer ist. Sie schreiben in Ihrem Buch, der Spruch von Audi, »Vorsprung durch Technik«, sei auf dem Weg ins Museum. Wie ist das gemeint?

Gärtner: Das habe ich bewusst zugespitzt, weil die neuen Herausforderer sehr schnell aufholen. Ich will aber auch eine wichtige Entwicklung deutlich machen, die in meinem Buch eine große Rolle spielt: Ich habe sie die »Gut-genug-Bewegung« genannt. Die weltweite Mittelschicht wächst fast ausschließlich in den Schwellenländern. Dort verdient jemand, der zur Mittelschicht gehört, aber nicht 4000 Euro wie in Deutschland, sondern eher 300 bis 500 Euro.

Diese Konsumenten können sich nicht die besten Produkte leisten, sie verlangen nach Ware, die die neueste Technik enthält, aber deutlich günstiger ist. Diese Gut-genug-Produkte sind im Augenblick der weltweit einzige Markt, der schneller wächst, als Hi-Tech-Produkte. Firmen aus den Schwellenländern breiten sich in diesen Märkten rasant aus. Deutsche Tüftler tun sich dagegen schwer, wenn man ihnen sagt: Du baust nicht für den Nobelpreis, sondern für anspruchsvolle Kunden mit kleinerem Geldbeutel.

Kipp: Sie schreiben, dass Deutschland neben den USA das zweite Topziel im Westen für die Aufsteiger aus Asien und Südamerika wird. Warum ist das so?

Gärtner: Weil es in Deutschland laut einer Untersuchung jeden zweiten Technologieführer auf der Welt gibt. Diese Hidden Champions sind spezialisierte Mittelständler, die technisch ganz obenauf sind und meist die Nummer eins auf dem Kontinent. Wer die kauft, erwirbt nicht nur Technologie, die es mit der gesamten Konkurrenz auf dem Planeten locker aufnehmen kann, sondern auch anerkannte Marken, dazu Ingenieure, Designer und Entwickler sowie etablierte Distributions-Netzwerke. Das ist alles, was man braucht, um vom Aufsteiger aus Asien oder Brasilien in Windeseile – ohne jahrelangen Markenaufbau − eine Abkürzung zum globalen Player zu nehmen. Reden Sie mal mit den einschlägigen internationalen Anwaltskanzleien in Deutschland, die deutsche Firmen für chinesische und indische Käufer suchen und die Übernahmen abwickeln. Deren China-Desks schieben Überstunden.

Kipp: Wie ausgeprägt ist denn die globale Expansion, die Sie im Drachensturmbeschreiben?

Gärtner: Sie ist massiv. Sie wird binnen weniger Jahre viele Märkte in Europa und den USA völlig umkrempeln. Das hat ja schon begonnen. Und das langsamere Wachstum, das wir jetzt in China, Indien, Brasilien und anderen Emerging Markets sehen, das beschleunigt die Attacke auf den Westen sogar. Dazu trägt vor allem die wachsende Innovationskraft der neuen Herausforderer bei. Und China zum Beispiel will sein Wachstum nicht mehr allein auf billige Exporte und immense Investitionen in Fabriken stützen, weil sonst riesige Überkapazitäten Tausende von Firmen ruinieren und das Wachstum, aber auch die Umwelt, zerstören. Künftig soll das Wachstum in China mehr durch den heimischen Konsum kommen. Dafür müssen aber die Löhne schnell steigen … .

Kipp: Die lokalen Firmen müssen also höherwertige Produkte herstellen, um die steigenden Löhne zu verdienen … .

Gärtner: Nicht nur das. Der neue Mittelstand will auch bessere Produkte kaufen. Chinas Firmen müssen diese entwickeln und herstellen, sonst sind sie am Ende. Dieser Aufstieg auf der technologischen Leiter hat ein Tempo, das bei uns völlig unterschätzt wird. Bis vor Kurzem hatten ausländische Fabriken noch einen Anteil von deutlich über 50 Prozent an den chinesischen Exporten. Seit dem vergangenen Jahr haben chinesische Firmen jedoch den größten Wertschöpfungs-Anteil an ihren Ausfuhren. Und China investiert jetzt mehr Geld in seine globale Expansion in Übersee als der Rest der Welt in China investiert. Das ist noch so ein Meilenstein, den bisher niemand in den sogenannten Qualitätsmedien zur Kenntnis genommen hat.

 

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