Der Regulierungsbedarf bei den konventionellen Prompt-Global-Strike-Systemen der USA

14.Apr. 2014

Von Dennis M. Gormley

In Präsident Obamas „Nuclear Posture Review“ (2010) spielte der Begriff der „strategischen Stabilität“ eine wichtige Rolle.[1] Es war dies nur kurz nach Obamas Prager Rede von 2009, in der der Präsident erklärt hatte, die Vereinigten Staaten seien moralisch dazu verpflichtet, die Führung zu übernehmen bei dem Versuch, weltweit alle Nuklearwaffen abzuschaffen. Der Bericht kam zu dem Schluss, die USA könnten ihre Abhängigkeit von Nuklearwaffen senken, da die USA bei den konventionellen Waffensystemen und der Stationierung von Raketenabwehrsystemen konkurrenzlos überlegen seien. Selbstverständlich lässt sich das Ziel, alle Nuklearwaffen abzuschaffen – oder auch ihre Zahl deutlich zu reduzieren, nur erreichen, wenn andere Atommächte, allen voran die Russischen Föderation, mitziehen. Die Verlegenheit, in der sich die USA befinden – und die man, obgleich sie klar zutage liegt, doch unterschätzt hatte – ist, die Russische Föderation davon zu überzeugen, dass der Vorsprung der USA bei der Leistungsfähigkeit konventioneller Waffen für die Zukunft einen hinreichend stabilen Rahmen bietet, der es Russland erlaubt, seine Nuklearwaffen zu vernichten. Russland hat hier bereits gravierende Bedenken geäußert, denn die USA planen, das neue Conventional Prompt Global Strike (CPGS)-System zu stationieren, und sie verfügen über ein wachsendes Arsenal von Abwehrraketen. In diesem kurzen Papier soll versucht werden, die Probleme zu bewerten, die es den USA bereitet, die russischen Sorgen angesichts der Stationierung von CPGS-Systemen zu zerstreuen.
Entwicklungsstadium der CPGS-Programme

Im Mittelpunkt des umfassenden CPGS-Programms stehen drei Komponenten. Im Jahr 2008 startete die US-Luftwaffe das Conventional Strike Missile (CSM)-Programm, und dieses Programm ist heute führend, denn der Versuch der US-Marine, die Trident-Rakete als schnellsten und effektivsten Weg zur Entwicklung eines CPGS zu verkaufen, ist gescheitert. Das CSM würde auf dem Festland stationiert, vermutlich an der West- oder Ostküste der USA, und es setzt auf Raketengleitertechnologie, wobei im Vergleich zu ballistischen Atomraketen eine stark abgeplattete Flugbahn beschrieben wird. Nach der Abkoppelung soll die Nutzlast mit Hyperschallgeschwindigkeit ihr Ziel ansteuern; zudem sind von der Flugbahn stark abweichende Manöver möglich. Aus dieser Manövrierfähigkeit erwachsen zwei Vorteile: Hohe Zielgenauigkeit und der Überflug feindlichen Gebiets kann vermieden werden. Die Trägerrakete der CSM soll die Orbital Sciences’ Minotaur IV sein, die bereits über 50 Flüge absolviert hat. Die Luftwaffe hatte gehofft, das System bis 2012 einsetzen zu können (mit einer einsatzbereiten und zwei Reserveraketen), inzwischen sieht es jedoch so aus, als ob das CSM erst deutlich nach 2015 einsatzbereit sein wird. Grund dafür ist vor allem, dass die Wiedereintrittskörper noch gründlich getestet werden und mindestens fünf Demonstrationsflüge absolvieren müssen. Bis zum jetzigen Zeitpunkt hat das CSM noch keinen erfolgreichen Flugtest in Hyperschallgeschwindigkeit absolviert.
Das zweite CPGS-Programm ist das Hypersonic Test Vehicle no. 2 (HTV-2), finanziert von der Defense Advanced Research Projects Agency (DARPA), der Abteilung des Pentagon für die Entwicklung neuer Militärtechnologie. Das Ziel von HTV-2 ist es, ein Trägersystem zu entwickeln, das in den oberen Schichten der Erdatmosphäre eine Hyperschallgeschwindigkeit von über 21 000 Stundenkilometern erreichen kann. Amerikas größtes Verteidigungsunternehmen, Lockheed Martin, arbeitet an diesem System, das auch als Nutzlastträger für das CSM-Programm der Luftwaffe dienen soll. Nach zwei fehlgeschlagenen Flugtests (2010 und 2011), bei denen kurzzeitig eine Geschwindigkeit von Mach 20 erreicht wurde, ist jedoch klar, dass dem System bis dato die aerodynamische Kontrolle fehlt, um einen umfassenden Testflug zu absolvieren, geschweige denn die gesamte notwendige Distanz zurückzulegen. Da das Verteidigungsbudget extrem knapp ist und dies vermutlich noch eine gewisse Zeit so bleiben wird, hat das Pentagon entschieden, im Haushalt 2014 nur zwei Millionen Dollar für das Programm einzustellen. Für weitere HTV-2-Tests wird dies nicht ausreichen, und das Pentagon sucht nach billigeren und weniger riskanten Alternativen für das CPGS.[3]

Der dritte Ansatz innerhalb des CPGS-Programms des Pentagon ist die Advanced Hypersonic Weapon (AHW) der U.S. Army, die von Anfang an als weniger riskante Alternative zum HTV-2-Projekt der DARPA geplant war. Tatsächlich war der bisher einzige Flugtest der AHW im November 2011 erfolgreich und der Hyperschall-Raketengleiter legte eine Distanz von 3860 Kilometern zurück. Diese kürzere Reichweite der AHW bedeutet natürlich, dass es näher am Einsatzziel stationiert werden müsste, um den Ansprüchen und Aufgaben des CPGS zu genügen. Ungeachtet dessen hat die AHW der Armee, im Unterschied zum ungleich schwierigeren Projekt der DARPA, vom Pentagon für 2014 in bescheidenem Umfang zusätzliche Mittel erhalten, um einen weiteren Test zu ermöglichen.

Die Risiken und Vorzüge von CPGS

Die Gefahren und Risiken selbst einer geringen CPGS-Kapazität – die aus ungefähr 20 Systemen bestünde –, um so mehr aber einer Kapazität von hundert oder mehr Systemen, sind weitaus größer als ihre Vorzüge; zudem gibt es geeignetere, wenn auch nicht ganz so schnelle Alternativen, bewegliche Ziele zu treffen. Zu den Hauptrisiken gehört, dass die Gründe, einen Erstschlag zu führen, wachsen – und das nicht nur für Staaten, die zurecht glauben, dass CPGS-Waffen gegen sie gerichtet sind, sondern auch für Länder, die versuchen, dem Vorbild der USA nachzueifern und eigene Waffensysteme mit großer Reichweite zu entwickeln. Man denke nur an Japan, wo dergleichen momentan erwogen wird, – und das in einer Region, in der zahlreiche Staaten mit neuen Langstrecken-Systemen protzen.Die Stabilität der strategischen Lage wird zudem weiter dadurch untergraben, dass das Zielland nicht feststellen kann, ob ein CPGS-Angriff konventionell oder nuklear ist. Die Summe der Faktoren in solch einem Szenario kann leicht zu unvorhergesehenem Fehlverhalten führen. Die wahre Achillesferse des CPGS-Konzepts sind aber die ganz neuen Anforderungen an die Geheimdienste, von denen nun verlangt wird, Entscheider mit „erlesenen“ Informationen zu versorgen – und zwar innerhalb von nur einer Stunde. Unter Bedingungen, in denen die Faktoren vielfältig und die Zeit sehr knapp ist, bleibt den Entscheidungsträgern praktisch keine Zeit, die unmittelbaren und potentiell unbeabsichtigten Folgen ihrer Handlungen abzuschätzen.

Verglichen mit den Nachteilen von CPGS, sind die beiden Vorteile, die Anhänger des Programms ins Feld führen, bestenfalls dürftig. Der erste besteht darin, sofort zuschlagen zu können, sollte man ein bewegliches terroristisches Ziel mit einer Atomwaffe in einem neutralen Land aufspüren oder sollte ein Schurkenstaat eine Atomrakete startklar machen. Der zweite Vorteil ist, dass man glaubt, die Wahrscheinlichkeit, die USA müsse zur Verteidigung ihrer Interessen Nuklearwaffen einsetzen, werde sinken. Beim erstgenannten angeblichen Vorteil werden selbst Anhänger dieses Waffensystems zugeben müssen, dass solche Szenarien höchst unwahrscheinlich sind – vor allem aber ist das Risiko viel zu groß, da die Gefahr steigt, durch falsche Geheimdienstinformationen unbeabsichtigt einen andernfalls vermeidbaren konventionellen oder gar nuklearen Krieg auszulösen. Zum Glück stehen den Entscheidungsträgern in den USA zahllose andere, wenn auch nicht ganz so schnelle Angriffswaffen zur Verfügung. Was das Argument angeht, die Gefahr eines Atomschlags werde durch CPGS geringer, so ist es eher Amerikas beispiellose Überlegenheit bei konventionellen Waffen, die dem US-Militär zahlreiche Optionen an die Hand gibt, die erheblich vernünftiger sind, als auf solch höchst unwahrscheinliche Szenarien mit dem Einsatz von Nuklearwaffen zu reagieren.

Schließlich, sollten sich die Vereinigten Staaten dafür entscheiden, eine kleinere oder größere CPGS-Kapazität aufzubauen, und gleichzeitig an der stabilen strategischen Lage und an nuklearer Abrüstung im großen Stil festhalten (beides erklärte Ziele der US-Außenpolitik, um die globale Sicherheit zu wahren), dann müssen die USA auch dazu bereit sein, nicht nur die Zahl der Raketen, die konventionelle Gefechtsköpfe auf einer ballistischen Flugbahn transportieren, offenzulegen, sondern auch die neuer Trägersysteme wie Raketengleiter, die sich auf einer abgeplatteten Flugbahn bewegen. Besonders wichtig wird dies, sollte mehr als nur eine sehr kleine Zahl dieser neuen Systeme stationiert werden, da dies dann für die russische Atommacht und für kleinere Atommächte eine Bedrohung darstellen würde.

Russlands Sorgen und Belange berücksichtigen

Bei der Frage, in welchem Maß die Vereinigten Staaten bei künftigen bilateralen Verhandlungen den russischen Bedenken wegen der Gegenschlagkapazitäten von CPGS entgegenkommen sollen, muss der New START-Vertrag von 2010 zu Rate gezogen werden. Berichten zufolge versicherten die Vereinigten Staaten bei den Verhandlungen der russischen Seite, CPGS-Systeme nicht in einer solchen Zahl stationieren zu wollen, die Russlands strategische Gegenschlagkapazitäten bedrohe. Die Präambel des Vertrages stellt jedoch fest, beide Staaten seien sich „bewusst, welche Folgen konventionell bewaffnete Interkontinentalraketen (ICBM) und U-Boot-gestützte ballistische Raketen (SLBM) auf die strategische Stabilität“ hätten. Die USA erklärten sich im Rahmen des Vertrages dazu bereit, ballistische Raketen mit konventionellen Gefechtsköpfen so zu zählen, als handele es sich um Nuklearwaffen. Betont sei, dass dies nicht geschah, weil die amerikanische Seite die russischen Bedenken über das Gegenschlagspotential solcher konventionellen Waffen teilte. Vielmehr ging es darum, dass, sollten die USA ballistische Nuklearwaffen auf konventionelle Sprengköpfe umrüsten, es praktisch unmöglich sein würde, nuklear und konventionell bewaffnete Raketen auseinanderzuhalten – und es sehr schwierig geworden wäre, den Vertrag zu erfüllen .
Sollten die Vereinigten Staaten daran festhalten eine vermutlich geringe Zahl von CPGS-Waffen zu stationieren, würden die aktuellen Zählregeln des New START-Vertrages greifen – solange es sich dabei um eine Rakete handelt, die Wiedereintrittskörper auf einer Umlaufbahn für ballistische Raketen transportiert. Würden die Vereinigten Staaten jedoch eine CPGS-Waffe auf Basis eines Raketengleiters stationieren – der sich auf einer abgeplatteten Flugbahn bewegt und seine Waffen mit einem Überschallgleiter ins Ziel trägt –, so würde dieser neue Waffentypus nicht von den Zählregeln des New START-Vertrags erfasst. Der Grund dafür ist, dass, im Unterschied zu herkömmlichen ballistischen Raketen, die Russen bei dieser Waffe ohne Weiteres den Unterschied erkennen könnten und so jede Unklarheit ausgeschlossen wäre. Sollten die USA ein derartiges nicht-ballistisches System stationieren, berechtigt der New START-Vertrag Russland jedoch, in einer bilateralen Beratungskommission die Frage einzubringen, ob eine solche Waffe unter die existierenden Zählregeln fällt oder nicht. Solange die USA sich darauf beschränken, nur sehr wenige dieser Waffen zu stationieren, ist es sehr sinnvoll, diese Raketengleiter-Systeme in die Zählung mit aufzunehmen. Sollte eine künftige US-Regierung die Zahl der CPGS-Waffen erhöhen wollen, sollte es auch dafür Zählregeln geben.

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http://www.boell.de/de/2014/04/14/der-regulierungsbedarf-bei-den-konventionellen-prompt-global-strike-systemen-der-usa

 

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